Constanze Pupkes
Eine Momentaufnahme
Die Atmosphäre ist konzentriert. Zwei Frauen sitzen nebeneinander an einem Tisch in der Praxis für Logopädie von Christina Brandenburg. Auf einem Arbeitsblatt, das neben der Kommunikationshilfe liegt, stehen in jeder Zeile verschiedene Vertreter einer Kategorie. „Drossel“ und „Spatz“ steht in Zeile eins. Die Dame mit der hellen Kleidung, Frau Pupkes, sieht sich die beiden Begriffe genau an, spricht sie nach und überlegt. Die Aufgabe lautet, den Sammelbegriff für Drossel und Spatz herauszufinden und einen weiteren Vertreter zu benennen. „Frau Pupkes, fällt Ihnen noch ein weiterer Vogel ein?“ fragt Frau Brandenburg – und hält sich im selben Moment die Hand vor den Mund. Frau Pupkes beginnt zu kichern. „Nein, jetzt habe ich es verraten!“ Beide brechen in lautes Lachen aus. Eine Momentaufnahme herzlicher Ausgelassenheit, vor einigen Monaten noch undenkbar.
„Als Frau Pupkes im vergangenen Jahr mit einer Sprechapraxie und Aphasie zu mir in die Praxis kam, konnte sie kein einziges Wort sprechen, ihre Mundmotorik war vollständig beeinträchtigt“, erzählt Frau Brandenburg. Der emotionale Leidensdruck nach dem Schlaganfall war unglaublich groß. „Wer sich von heute auf morgen zahlreicher Fähigkeiten beraubt sieht, die vorher selbstverständlich waren – der Bewegungsapparat durch eine Lähmung beeinträchtigt, die Fähigkeit zu kommunizieren zum größten Teil verloren – das ist kaum vorstellbar.“ Nachdem sich Logopädin und Patientin in den ersten Therapieeinheiten besser kennenlernten, machte Frau Brandenburg den Vorschlag, ein elektronisches Kommunikationsgerät auszuprobieren. Dieses sollte Frau Pupkes in ihrer spontanen Kommunikation unterstützen, während sie parallel an der Wiedergewinnung ihrer verloren gegangenen Sprechmotorik arbeitete. Nach einem Besuch des Hilfsmittelberaters Jürgen Rühmann von REHAVISTA Bremen entschieden sich beide für ein DynaVox Maestro. Mit überraschenden Folgen. Nach der Einarbeitungs- und Gewöhnungszeit mit dem Gerät war auffällig, dass sich die spontane Lautsprache von Frau Pupkes stark verbesserte.
„Meine Vermutung ist, dass es Frau Pupkes durch das Hören und Nachsprechen besser gelingt, sprechmotorische Muster wieder anzubahnen bzw. abzurufen. Vielleicht werden auf diese Weise Spiegelneuronen stimuliert? In jedem Fall spricht sie mehr, seitdem sie das Gerät hat. Der Zusammenhang ist für mich offensichtlich.“ Frau Pupkes verwende die Kommunikationshilfe kompensatorisch, zurzeit jedoch vor allem rehabilitativ, so die Logopädin. Das Maestro gleiche in der Kommunikation mit anderen sprachliche Defizite aus und habe gleichzeitig einen therapeutischen Effekt auf ihre eigene Lautsprache. Nach über einem Jahr traut sich Frau Pupkes sogar wieder zu, ans Telefon zu gehen. Noch immer sei die Kommunikation mühsam, erzählt Frau Brandenburg – vor allem am Telefon, ohne Unterstützung von Gestik und Mimik. An der Tatsache, dass sie dennoch zum Hörer greift, zeige sich aber ihr großer Mut, für Fortschritte zu arbeiten anstatt den Ist-Zustand kampflos zu akzeptieren.
Frau Pupkes sucht inzwischen auf dem Maestro nach einem ganz bestimmten Vogel, den sie der ersten Kategorie auf ihrem Arbeitsblatt hinzufügen möchte. Sie versucht den Begriff zu lautieren. Eine Amsel soll es sein. Da Frau Pupkes bereits gelernt hat, das Gerät zu programmieren, ergänzen beide gemeinsam das fehlende Wort. „Wir nutzen das Kommunikationsgerät im therapeutischen Kontext, damit Frau Pupkes die Struktur des Anwenderprogramms Gateway besser kennenlernt. Durch die Suche, z.B. nach der Amsel, erkennt sie, wo sich welches Vokabular verbirgt und wie sie selbst fehlende Wörter ergänzen kann. Für den Einsatz zur spontanen Kommunikation ist es wichtig, dass sie weiß, hinter welchem Button sich welche Seite oder welcher Begriff verbirgt.“
Logopädin und Patientin beschäftigen sich mit dem nächsten Arbeitsblatt: Satzergänzungsaufgaben. Gegenstand der Diskussion ist die Kategorie der Zitrusfrüchte – im konkreten Fall die Mandarine. Eine Mandarine ist… „gelb“, sagt Frau Pupkes mit ihrem Maestro. „Orange?“ überlegt Frau Brandenburg. Die Patientin wirft einen skeptischen Blick auf ihre Logopädin. Sie öffnet die Kommunikationsseite „Wie-Wörter“ und schaut sich konzentriert die enthaltenen Begriffe an. „Süß“ wählt Frau Pupkes aus und lächelt schelmisch. Die Therapiestunde endet, wie sie begonnen hat: mit herzlichem Lachen. Schön, wenn Kommunikation wieder Spaß macht.